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Beitrag vom 14.11.2008
Filmmusik zu Waltz with Bashir von Max Richter
Margret Müller
Die Filmmusik des Animationsfilms von Ari Folman dürfte auch diejenigen ansprechen, die normalerweise kein Faible für Soundtracks haben, denn es ergeben sich nicht ungefährliche ...
...hypnotische Auswirkungen und die Entdeckung von eigenständig großartiger Musik.
Filmmusik wird manchmal dazu benutzt, um mit Hilfe pathetischer Violinensequenzen mangelnde schauspielerische Leistung oder ein schwaches Drehbuch eine artifizielle und herzerweiternde Emotion zu suggerieren. Oft sind die Stücke miteinander einzig und allein durch den einmaligen gemeinsamen Filmauftritt verbunden, so dass sie ohne den filmischen Kontext nicht wirken. Außerdem ist die Vermarktung von Soundtracks eine weitere Möglichkeit, neben dem Merchandising noch mehr Einnahmen zu erzielen. Aber die Homepage von "Waltz with Bashir" lädt regelrecht dazu ein, sie unter fadenscheinigen Begründungen zu besuchen, nur um zum abertausendsten Mal den Trailer im Hintergrund abzuspielen, um die Musik hören zu können, und sie dann doch käuflich zu erwerben. Der OST, der achtzehn von Max Richter komponierte Instrumental-Stücke und zwei Songs mit Vocals beinhaltet, ist die perfekte Weiterführung der Titelmusik des Trailers: sanft gehen die Stücke ineinander über, der Stil ist konsistent, ohne das dabei ein Song die Variation des vorangegangenen wäre.
Dennoch handelt es sich dabei um typische Filmmusik, die zuverlässig mit Violinen allerlei emotionale Extreme manipuliert. Aber, ach wie schön, man kann sich dabei treiben lassen, und das gerne! Selten wird man so virtuos von "traurig" in die "Lass-Dich-Umarmen-Welt"-Stimmung geschleudert. Auf einer wunderbaren, melodramatischen Achterbahn fliegt man durch den Arbeitsalltag, alles wird Teil einer breiten, von nichts weniger als der Ewigkeit determinierten Strömung. Eindrücklich erinnert die Musik an die jeweils dazugehörenden Szenen des Films, durch welche sie so stark geprägt wurden. Aber es ist mehr als das, mehr als gute Musik zu einem guten Film. Sie steht für sich alleine, nimmt gefangen und kann in einer endlosen Schleife abgespielt werden.
Max Richters Markenzeichen ist ein unnachahmlicher Mix aus Streich-, Piano- und elektronischer Musik, die tief berührt, innehalten lässt. Entrückte Melodien, die sich ganz dicht am Herz ansiedeln. Tiefe, sensible, mal sphärisch harte, mal elektronische Klänge, langgezogen, eher klang- als rhythmuszentriert. Musik die zu Sonnenuntergängen gehört, zu bewegenden Bildern vom Leid verstummter Menschen, zu langen Nebelmorgen, Novemberwäldern, schwarzen Silhouetten einsamer Menschen in der Zivilisationswüste Stadt, und es ist vor allem die Musik zu Bildern leidender Soldaten und Krieg. Bekannte Bilder, wie der Soldat der SBZ, der über den Zaun - bald Berliner Mauer - springt, der Soldat im zweiten Irak-Krieg, der ein sterbendes Kind trägt, das nackte Mädchen aus Vietnam, das um sein Leben rennt, tauchen vor dem inneren Auge auf. Hätte es in diesen Momenten Musik gegeben – vielleicht wäre es diese gewesen.
Das macht sie so passend als Filmmusik des Filmes "Waltz with Bashir". Das unbeschreibliche Leid und die Sinnlosigkeit des ersten Libanonkrieges werden nicht ins Pathetische gehoben, sondern schlichtweg in Töne umgewandelt, die die Bilder beschreiben und eine andere intensive Gefühlsdimension eröffnen.
Sie bleibt dezent, trotz ungezügelten Violineneinsatzes eher aufrichtig als theatralisch, ehrlich traurig. Ewigkeitsmusik, aber so, dass man sie gerade noch in der Gegenwart ertragen kann. Vor allem kann diese Musik auch unabhängig vom Film genossen werden.
Max Richter wurde 1966 in Deutschland geboren, studierte Komposition und Piano an der Universität Edinburgh, der Königlichen Akademie der Musik und mit Luciano Berio in Florenz. Er ist Mitbegründer des Ensembles Piano Circus, mit dem er zehn Jahre zusammenarbeitete und fünf Alben veröffentlichte. Richter arbeitete intensiv mit Future Sound of London und produzierte das Vashti Bunyan Album "Lookaftering". Neben Waltz with Bashir wurde seine Musik für den Film Stranger than Fiction benutzt, und er veröffentlichte insgesamt vier Soloalben. Weitere Infos und Kontakt unter: www.maxrichter.com
AVIVA-Tipp: Zwar ist die Musik emotional höchst manipulativ, aber wenn schon Manipulation, dann bitte solche. Vielleicht ist es wie bei dem Soundtrack zu dem französischen Film "Die fabelhafte Welt der Amélie" von Yann Tiersen, bei dem ebenfalls die Verbindung eines großartigen Filmes und einzigartiger Musik zu einem Meisterwerk zustande kam. Wenn genau das passiert, wird auch ein Soundtrack zu einem eigenständigen Kunstwerk!
Waltz with Bashir – Soundtrack
Label: EMI, VÖ: 14. November 2008
Lesen Sie auch die Rezension zum Film "Waltz with Bashir" auf AVIVA-Berlin.